Perfekt unperfekt? Warum in glücklichen Beziehungen „weniger“ manchmal mehr ist

Wie definiert sich überhaupt ein „perfektes Paar“? Von Harmonie beseelt, zwei Menschen, ein Gedanke und jeden Abend in der Löffelchenstellung einschlafen? Wenn Streit ein Fremdwort ist, und beide Partner dem anderen jeden Wunsch von den Lippen ablesen – und selbstredend auch erfüllen?

Sollte es tatsächlich solche Paare geben, sind sie bestimmt nicht perfekt, sondern eher unheimlich. Und irgendwie auch ein bisschen langweilig, oder? Raum für Spontaneität und Überraschungen scheint in solchen Beziehungen nicht mehr groß gegeben. Vielmehr scheint alles nach einem perfekt ausgeklügelten Masterplan zu laufen. Wahrscheinlich „arbeitet man“ auch ganz schön an der Beziehung. Und verliert vor lauter Selbst- und Paaroptimierung unter Umständen sogar die ureigene Beziehungs-Dynamik ganz aus den Augen. Das Lebendige, das Unberechenbare – vielleicht sogar den „eigentlichen“ Grund oder Auslöser, weshalb man überhaupt zusammen(gekommen) ist.

Nur zur Erinnerung: Ihr habt euch nicht in euren Partner verliebt, weil er die Zahnpastatube immer so schön zumacht. Sondern weil er euer Leben mit Spontaneität, verrückten Ideen und manchmal auch Chaos bereichert. (Übrigens ein sehr hilfreicher Gedanke, wenn ihr euren Partner gerade mal wieder am liebsten auf den Mond schießen würdet.)

Beziehungen sind nicht planbar. Sie leben von Überraschungen und von Flexibilität. Und sie sind, genau wie ihre Protagonisten, von Wandel gekennzeichnet. Da es nie einen Status Quo für Paare geben kann, gibt es auch keinen für glückliche Paare.

Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Natürlich ist es erstrebenswert, sich und seine Partnerschaft weiterzuentwickeln. Aber man muss nicht sämtliche Paar-Optimierungstipps und -Programme nach einem bestimmten Schema durchziehen, weil dann sowohl Individualität als auch Spontaneität auf der Strecke bleiben.

Und die oberste Maxime ist immer, bei sich zu bleiben. Eigene Bedürfnisse und Grenzen wahrzunehmen und dafür einzustehen. Und gewappnet zu sein für den Zeitpunkt, wenn man den Partner nicht mehr durch die rosarote Brille sieht. Neben einem konstruktiven Kommunikationsstil sind dann Konflikt- und Kritikfähigkeit ziemlich hoch im Trend.

Denn jedes Paar kommt im Laufe seiner Beziehung irgendwann an den Punkt, an dem es nicht mehr so weiter geht wie bisher. Emotionales Patt, nennt der Psychologe David Schnarch diese Situation und führt in seinem Buch „Intimität und Verlangen“ weiter aus: „Eine emotionale Pattsituation entsteht, wenn Sie und Ihr Partner das tun, was alle Menschen tun, die eine gute Beziehung aufbauen wollen: Sie wirken auf die Ängste des Partners ein, indem Sie dessen gespiegeltes Selbstempfinden annehmen und stützen. Sie geben Ihrem Partner hinsichtlich eines Themas nach, und dieser revanchiert sich entsprechend in einer anderen Hinsicht. Dies hält die Angst beider Beteiligten in Grenzen und bewirkt, dass sich beide geliebt und gewollt fühlen.“

Also gut gemeint, aber letztendlich nicht gut gelaufen weil wenig hilfreich. Denn irgendwann muss man mit dem Partner über Dinge reden, von denen man weiß, dass sie ihm nicht gefallen werden. Spätestens dann, wenn persönliche Bedürfnisse konträr aufeinanderprallen. „Ein Patt tritt ein, wenn Ihre Grenzen mit denen Ihres Partners kollidieren, so dass Ihnen kein Raum mehr bleibt, einander entgegenzukommen. Die Pattbereiche in Ihrer Beziehung sind diejenigen, in denen Sie und Ihr Partner am unflexibelsten sind“, weiß dann auch Schnarch.

Paare, die diese Situation(en) auflösen können, ohne sich zu trennen, könnte man dann vielleicht als „Super-Paare“ bezeichnen. Aber wahrscheinlich würden diese das weder wollen noch selber tun. Und sie sind es ja auch nur so lange, bis das nächste Patt wieder vor der Tür steht und gemeistert werden will. Denn Liebe ist immer im Fluss.


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