Die Psychologin Stefanie Stahl hat ein Mutmachbuch geschrieben für alle, die das Spiel aus “Ja, nein, vielleicht” kennen. Wir haben mit der Expertin über die Angst vor Nähe gesprochen
„Nähe-Frau sucht Distanz-Mann“ ist ein bekanntes Klischee. Wie sieht nach Ihrer Erfahrung die Verteilung von sicherem, ängstlichem und vermeidenden Bindungsverhalten bei den Geschlechtern aus?
Stefanie Stahl: Man muss zwischen aktiver und passiver Bindungsangst unterscheiden. Wer unter passiver Bindungsangst leidet, läuft einem Partner hinterher, der aktiv aus der Beziehung flüchtet bzw. immer wieder Distanz herstellt. Sowohl Männer als auch Frauen finden sich sowohl in der aktiven als auch in der passiven Rolle wieder. Diese kann zwischen verschiedenen Beziehungen bzw. ebenfalls innerhalb einer Beziehung wechseln. Häufig nehmen Frauen die passive Rolle ein und klammern an einem Mann, der sich nicht wirklich auf die Beziehung mit ihnen einlässt. Gleichzeitig sind es aber genau dieselben Frauen, die den aktiven Part einnehmen, wenn sie einen Mann sicher haben könnten. Männer, die sich ernsthaft für sie interessieren und die bindungsfähig wären, werden von diesen Frauen oft als langweilig und uninteressant empfunden.
Ich denke, dass Frauen das bindungsängstliche Verhalten ihres Partners als eine vermeintliche Stärke und Überlegenheit empfinden. Schließlich hat der aktiv flüchtende Partner die Alleinherrschaft über Nähe und Distanz in der Beziehung. Hierdurch kommt er zwangsläufig in eine überlegene Position und weist somit eine gewisse Pseudostärke auf, die die Frauen sehr abhängig und letztlich scharf macht. Umgekehrt gibt es aber genauso Männer, die sich von einer aktiv bindungsängstlichen Frau abhängig machen.
Ängstliche und vermeidende Personen ziehen sich gegenseitig an. Wie können solche Paare glücklich werden und bleiben?
Solche Paare können nur glücklich werden und bleiben, wenn sie ihre eigenen Muster durchschauen. Wenn ich so gestrickt bin, dass ich immer nur den oder die lieben kann, der oder die mir nicht ganz sicher sind, während ich sichere Partner langweilig und uninteressant finde, kann ich nie in einer glücklichen Partnerschaft ankommen. Ich muss durchschauen, warum ich immer wieder die Flucht ergreife, wenn ein Partner mir wirklich nahe kommt.
Dahinter stecken in der Regel zwei Ängste: Erstens Verlustangst und zweites Angst vor Vereinnahmung. Viele Bindungsängstliche lassen sich nicht wirklich auf eine Beziehung ein, weil sie Angst haben, verlassen zu werden und eine mögliche Trennung quasi nicht zu überleben. Deshalb halten sie immer einen gewissen Sicherheitsabstand ein. Die Angst vor Vereinnahmung hingegen rührt daher, dass Bindungsängstliche sich schlecht abgrenzen können. Es fällt ihnen schwer, klar für ihre Wünsche und Bedürfnisse einzutreten und deswegen erfolgt die Abgrenzung umso härter auf einer äußeren Ebene nach dem Motto: Nur wenn ich allein bin, kann ich wirklich ich selbst sein. Solange die Betroffenen diese Muster nicht erkennen und auflösen, werden sie kein Glück in der Liebe finden.